Der König leistet Starthilfe

ESSLINGEN: Ruderverein wird 100 Jahre alt - Auch Faustball, Volleyball und Boule werden gespielt

Vielfältige Qualitäten haben die Sportler vom Ruderverein Esslingen. Neben Rudern stehen bei ihnen auch andere Sportarten auf der Agenda. Sogar einen Olympiazweiten brachte der Verein hervor - allerdings nicht im Boot. Am Samstag feiern die Ruderer ihren 100. Geburtstag.

Von Tobias Dorfer

Ohne König Wilhelm II. von Württemberg wäre es wahrscheinlich nie soweit gekommen. Als eine Handvoll Schüler der damaligen Oberrealschule Esslingen einen "Schülerruderverein" gründen wollten, schrieben sie dem damaligen Monarchen und baten ihn um eine finanzielle Starthilfe. Der ließ sich nicht lumpen und ließ 200 Reichsmark springen - genug, um damals etwa drei Boote anzuschaffen. Auch der deutsche Kaiser bekam einen Bittbrief, doch anstatt Geld schickte der Regent ein Portrait. Geschichten wie diese erzählt Manfred Strutz mit leuchtenden Augen. Starthilfe vom württembergischen König - wer kann damit schon aufwarten?

     

Baumaterial gegen Boote

Aus dem Schülerruderverein von 1906 wurde 15 Jahre später der Ruderverein Esslingen. Man wollte sich für alle öffnen. Mit Erfolg. Denn der noch junge Verein kam schnell zu Ehren. Regattensiege und eine steigende Mitgliederzahl machten die Ruderer - damals noch an ihrem ersten Standort beim heutigen Areal der Firma Hengstenberg - schnell populär. 1912 mussten die Sportler mit ihrem Bootshaus dort jedoch einer Maschinenfabrik weichen. Den zweiten Standort am Alicensteg in der Pliensauvorstadt verließ der Verein im Jahr 1934. Der Grund: Sie konnten dort auf dem Neckar lediglich 700 Meter am Stück fahren. So bezogen die Ruderer das neue Heim neben dem Nymphea auf der Neckarinsel - dort sind sie noch heute zu finden.


Bootshaus Einweihung 30. September 1933

Dunkle Zeiten warteten dann während der Nazi-Herrschaft auf die Sportler. Viele Männer wurden zum Kriegsdienst eingezogen, für die jungen Leute wurde eine Sportdienstgruppe Rudern ins Leben gerufen, die sogar noch an ein paar Regatten teilnahm. "Ein normaler Ruderbetrieb," so erzählt der ehemalige Ruderwart Wolfgang Mayer, "war trotzdem nicht möglich". Zudem plünderten Fremde gegen Kriegsende das Bootshaus und demolierten die Boote. Doch auch davon ließen sich die sportbegeisterten Ruderer nicht unterkriegen. "Bei einem Ruderverein am Starnberger See haben wir Boote gegen Baumaterial getauscht", erzählt Wolfgang Mayer. Und auch die Mitgliederzahl stieg wieder an.


Abrudern 1981

Von 85 Ruderer nach Ende des Kriegs auf über 300 im Jahr 1956. Heute zählt der Verein noch 220 Mitglieder. Der Nachwuchs fehlt zwar, doch seit einigen Jahren tragen die Kooperationen - etwa ein Ruderkurs mit der Volkshochschule Esslingen - Früchte. Die 17-jährige Sandra Luptowitsch holte dieses Jahr die Deutsche Meisterschaft im Frauen-Doppelvierer und im Juniorinnen-Einer. Und das sind nur zwei von unzähligen Erfolgen, welche die Ruderer feiern durften. Im Trophäenschrank des Clubheims blitzen zahlreiche Pokale.

Silbermedaille für Brustschwimmer

Das Erfolgsrezept ist nicht nur hartes Training, sondern auch die Kameradschaft im Verein. Ruderausfahrten nach ganz Europa stärken das Gemeinschaftsgefühl und Teamgeist ist alles - egal ob beim Rudern, beim Putzen des Bootes oder beim gemeinsamen Kochen danach. "Entweder sind alle beschäftigt oder keiner," sagt Wolfgang Mayer, der mit seinen 78 Jahren noch jede Woche im Boot sitzt und mit den "HaSen" (Hausfrauen und Senioren) jede Woche 15 Kilometer fährt. Doch nicht nur auf dem Wasser sind die Ruderer eine eingeschworene Gemeinschaft. Volleyball, Faustball und sogar Boulesport bietet der Verein an. Keine Frage, dass die Ruderer vielfältige Qualitäten haben. So erstaunt es wenig, dass der größte Erfolg des Vereins gar nicht errudert wurde. Wilhelm Lützow holte bei den Olympischen Spielen 1912 in Stockholm die Silbermedaille - über 200 Meter Brustschwimmen.

Bericht in der EZ vom 02.11.2006