Von Annegret Jacobs
Esslingen
- An diesem Morgen um halb neun sind Christine Kalkschmid und Jens Maschkiwitz
bereits 16 Kilometer gerudert - zweimal zwischen dem Anleger des Rudervereins
Esslingen flussaufwärts nach Deizisau und zurück. Keine romantische Bootstour
im Holzkahn, sondern das tägliche Pensum der beiden Leistungssportler vor
der Arbeit. Intervalltraining mit Sprint-und Ausdauereinheiten.
Seit April sitzen die 35-Jährige und ihr 39-jähriger Kompagnon für den Ruderverein
Esslingen zusammen in einem Boot. Fast täglich für änderthalb Stunden beim
Training, bei den Wettkämpfen dagegen so kurz wie möglich. Mit dieser Vorgabe
sind die beiden in der allmählich zu Ende gehenden Rudersaison sehr gut gefahren.
Als Krönung haben die Angestellte
bei einer Versicherung und der Maschinentechniker bei den Ruderweltmeisterschaften
der Mastersklasse (Teilnehmer über 27 Jahre) im litauischen Trakai zweimal
Gold über die 1000 Meter gewonnen: in der offenen Klasse (Masters A) und der
Masters B (Mindestdurchschnittsalter 36 Jahre). „Es war ein sehr harter Wettkampf,
unser zweites Rennen begann keine zwei Stunden nach dem ersten", berichtet
Maschkiwitz. Bis kurz vor Beginn des zweiten Starts war es nicht klar, ob
beide antreten könnten. „Eine halbe Stunde vorher war ich noch völlig ausgepumpt",
sagt er. „Andererseits wussten wir nach der guten Zeit im A-Rennen, dass wir
in der B-Klasse ebenfalls vorne mitfahren könnten." Das spornte beide
an, sich noch einmal ins Boot zu setzen.
Auf ein kurzes Kommando hin heben beide Ruderer jetzt simultan das Boot
über ihre Köpfe, um es in den Vereinsschuppen zu bringen. Wer das von weitem
sieht, der mag an einen langgezogenen Pilz mit zwei Stielen denken, mit kräftiger
Schlagseite nach vorne: Christine Kalkschmid, die voran geht, ist einen halben
Kopf kleiner als ihr Kompagnon. Für den Laien sieht das witzig aus, für den
Ruderexperten bedeutet die Demonstration dieses Größenunterschiedes komplexe
physikalische Kalkulationen.
Rechenspiele um Sitzordnung
Maschkiwitz
kann dank seiner langen Arme die Skulls bei einer weitaus niedrigeren Schlagzahl
länger und kräftiger durchs Wasser ziehen als Christine Kalkschmid. Wie also
koordiniert man die Schlagzahl der Besatzung des Mixed-Bootes? Maschkiwitz
ist zudem um 20 Kilo schwerer als seine Bootskollegin. Säße er im Bug des
Bootes, also in Fahrtrichtung vorne, würde die Schiffsspitze stärker ins Wasser
gedrückt. „Zuviel Reibung zwischen Bug und Wasser bremst jedoch", so
Kalkschmid.
Nach verschiedenen Kalkulationen über die optimale Relation zwischen Gewicht,
Auftrieb und Zugkraft lautete die Sitzordnung des späteren Goldbootes: Christine
Kalkschmid im Bug, Jens Maschkiwitz als Schlagmann hinten. „Das muss nicht
für alle Ewigkeiten so bleiben, es gibt Mixed Doppelzweier, die sitzen in
umgekehrter Reihenfolge", sagt Maschkiwitz. Aber angesichts der kurzen
Anpassungsphase von nur einem Monat bis zum ersten größeren Wettkampf im Mai,
erschien ihnen diese Kombination als beste Lösung. Das jüngste Olympiadebakel
des Deutschland-Achters zeigt, dass, wenig Eingewöhnungszeit schief gehen
kann. Aber vielleicht lassen sich zwei Armpaare einfach schneller koordinieren
als acht? „Das mit uns beiden hat einfach sofort gepasst, das war Glück",
versucht Maschkiwitz den schnellen Erfolg zu erklären. Aus der Not heraus
hatten sich beide im April zusammengeschlossen. „Im Verein gab es niemanden
in unserer Leistungsklasse, weder für Christine noch für mich", erklärt
Maschkiwitz, warum beide nach über 20 Jahren Rudern nun gemischt fahren.
Die Mixed-Bootgemeinschaft wird ein längeres Projekt. Bei der WM in Wien wollen
beide im nächsten Jahr wieder gemeinsam starten. Auch materiell haben sie
Nägel mit Köpfen gemacht. Seit einigen Monaten rudern sie nicht mehr in Vereinsbooten,
sondern im eigenen.