Ein Bericht im Rudersport 7/09 Juli 2009 von Petra Muzenhardt
Unerschrocken
und mutig - Schüler haben vor 103 Jahren den Esslinger Ruderverein gegründet.
Trotz Standpauke des Rektors, aber mit finanzieller Hilfe des württembergischen
Königs.
Kennen Sie Robin Dutt? Nein? Das ist nicht überaus verwunderlich, denn mit dem Rudern hat der 44-jährige Trainer des neuen Fußball-Bundesligisten SC Freiburg eigentlich nicht viel am Hut. Dennoch wagte er einmal einen Versuch, sich in ein Boot zu setzen. Bei einem Pressetermin beim Ruderverein Esslingen (RVE) ließ er sich zu diesem Abenteuer überreden. Damals war Robin Dutt noch Trainer des Regionalligisten Stuttgarter Kickers und gemeinsam mit seinen beiden Ligakollegen Rainer Adrion vom VfB Stuttgart II und Frank Wormuth (VfR Aalen) machte er dabei gar keine so schlechte Figur. Das einzige Problem, das die drei Herren wirklich hatten, war den Ruderverein Esslingen überhaupt zu finden. Wormuth und Adrion vertrauten ihren Navigationsgeräten und schossen daher nur einmal knapp am Ziel vorbei. Dutt allerdings irrte fast eine halbe Stunde in der Gegend herum, bis er endlich die kleine versteckte Zufahrtsstraße zum Vereinsgelände gefunden hatte. Der Fußballtrainer nahm es mit Humor: „Ich habe den Einstieg ja doch noch gefunden."
Esslingens Oberbürgermeister Jürgen Zieger(im gelben T-Shirt)
ließ sich nicht lumpen:
Er stieg ins Boot und drehte eine Runde mit Thomas Ortlieb, Christoffer Tucci
und Jens Maschkiwitz (v.l.n.r.).
Einen
Kilometer auf diesem kleinen Weg müssen die Ruderer oder die Besucher des
vereinseigenen Restaurants „Argo" etwa fahren, dann liegt das Bootshaus
auf der rechten Seite -idyllisch gelegen zwischen dem Kanal und dem alten
Neckararm, auf einer Insel. Und das nun schon seit 76 Jahren. Der Ruderverein
Esslingen ist allerdings bedeutend älter. Im Jahr 1906 wurde er gegründet
und das erste Bootshaus lag direkt auf dem Gelände der Firma „Hengstenberg"
-weltbekannt durch ihr Sauer- und Blaukraut, Senf und Essiggurken - am anderen
Ende der alten Reichsstadt Esslingen.
Doch im Gegensatz zu vielen anderen Vereinen, wo im Hinterzimmer von Wirtshäusern
gestandene Mannsbilder die Gründungen vornahmen, verlief die Geburtsstunde
der Esslinger Ruderer ganz anders. Ein kleiner Kreis von Oberrealschülern
fasste damals den Entschluss, gemeinsam in ein Boot zu sitzen und Sport zu
betreiben. Geld hatten sie keines, an ihre Lehrer wollten sie sich nicht wenden,
so schrieben sie an den Kaiser und den hiesigen König: Sie hätten die Absicht,
den ersten württembergischen Schülerruderverein zu gründen, hätten aber nicht
genügend Mittel und bäten um Unterstützung.
Beide Monarchen schickten daraufhin ihr Bild, der württembergische König zudem noch 200 Reichsmark an das Rektorat der Schule. Der strenge Direktor hatte von der ganzen Sache allerdings keine Ahnung. Er ließ die Schüler antanzen und hielt ihnen eine gehörige Standpauke. Aber schließlich blieb ihm nichts anderes übrig, als seinen Segen zur Gründung zu geben. Die jugendlichen Ruderer konnten loslegen. Mit einem Gig-Vierer mit dem Namen Neckar, der für 175 Mark von der Heilbronner RG Schwaben gebraucht gekauft wurde, begann das Clubleben des Esslinger Schülerrudervereines (SRVE).
Es sollte eine bewegte Geschichte werden: Erst wurden Tourenfahrten auf dem Neckar unternommen und jedes Jahr ein Schaufahren in größerem Rahmen veranstaltet. Die erste Regatta an dem die Esslinger Sportler am 25. Juli 1909 in Heilbronn teilnahmen, brachte sogleich den ersten Erfolg: Der Vierer mit Steuermann fuhr auf Platz eins. Das erste Boot wurde ein Jahr später auf den Namen „König Wilhelm" getauft, das bis in die 1980er Jahre voll im Einsatz war. Wiederum vier Jahre später benötigte der SRVE - er wurde immer größer und erfolgreicher - dringend neues Bootsmaterial. Was tun? Die Kasse war klamm, also ließ man ein Bittrundschreiben an die Einwohnerschaft von Esslingen los.
Das Bootshaus des
Esslinger Rudervereins. Der 103 Jahre alte Verein wächst
immer noch und kann sich national und international zahlreicher Erfolge rühmen.
Der Erfolg übertraf alle Erwartungen und ermöglichte die sofortige Anschaffung eines gedeckten Klinkervierers. Beim Schaufahren am 27. Juli 1913 wurde er auf den Namen „Esslingen" getauft. Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges kam für den Club die schwerste Zeit. Der Weiterbestand war stark gefährdet, denn die Acht-und Neunklässler wurden eingezogen. Jetzt waren die jüngsten Mitglieder ganz auf sich allein gestellt. Doch nicht nur das. Das bisherige Bootshaus musste wegen dem Umbau des Esslinger Bahnhofs weichen und wurde unter schwierigsten Verhältnissen an anderer Stelle - diesmal flussaufwärts - wieder aufgebaut.
Als sämtliche
Schüler der oberen Klassen in die Jugendwehr eingegliedert wurden, musste
der Ruderbetrieb fast ganz aufhören. Erst nach Kriegsende zog wieder langsam
Leben in das Bootshaus ein. Zu Beginn der Jahres 1921 wurde der große Akt
der Umwandlung des Schülerrudervereins in einen normalen Ruderverein vollzogen.
Denn auch immer mehr ältere Sportler setzten sich mit großer Begeisterung
ins Boot. Den damaligen Schülern fiel die Aufgabe ihrer Selbstständigkeit
nicht leicht. Doch sie sahen ein, dass es ohne Unterstützung finanziell nicht
weiter zu stemmen war. Diese Ära war nun zu Ende, eine neue begann.
Jetzt war der Weg in den Verein für jedermann frei, der Trainingsbetrieb in
vollem Gange. Im Laufe der Jahre stellte sich allerdings heraus, dass die
knapp 700 Meter lange Hausstrecke den Anforderungen nicht länger gewachsen
war. Eine Lösung musste her: Diese fanden die Ruderer auf der Neckarinsel,
noch ein paar Kilometer vom alten Standort weiter flussaufwärts. Mit vereinten
Kräften wurde dann endlich am 30. September 1933 das neue Bootshaus eingeweiht.
Der RVE fand sich mit seinen nun 95 Mitgliedern im neuen Zuhause reibungslos
zurecht. Der Verein wuchs weiter und zwei Jahre später durften dann auch die
Damen die Riemen in die Hand nehmen.
Allerdings wurde dies nur zwölf Ruderinnen erlaubt. Mit dieser Beschränkung wollte man offenbar zu befürchtende Probleme in Grenzen halten. Diese waren allerdings völlig unbegründet, denn besonders in den kommenden Jahren wurde die Damenabteilung zu einer tragenden Säule des Vereins. Der zweite Weltkrieg stoppte die Aktivitäten des RVE abrupt. Nur noch die Ruderinnen, der noch nicht wehrpflichtige Nachwuchs und Urlauber stiegen in die Boote. Diese nahmen 1942 nochmals an einer Regatta in Heilbronn teil, bis dann alles zum Erliegen kam. Insgesamt 33 Ruderkameraden mussten ihr Leben lassen. Bis Kriegsende blieb das Bootshaus unbeschädigt. Doch dann fiel es in den ersten Nachkriegswochen Plünderern zum Opfer, die das Gebäude und sein Inventar völlig ruinierten.
Doch
wie überall im Nachkriegsdeutschland ging es auch beim RVE langsam wieder
aufwärts. 1946 bildete sich ein neuer Vorstand, der den alliierten Kontrollbestimmungen
entsprechen musste. 1947 war das Jahr ohne eigene Boote, gerudert wurde im
Leihmaterial der Nachbarvereine. 85 Mitglieder, darunter elf Jugendliche,
starteten in der Bootshausruine aber voller Tatendrang ein neues Vereinsleben.
Doch jetzt mussten dringend wieder neue Boote her. Der Club erwarb vom Münchner
RC einen Renn-Gig-Achter Baujahr 1913. Der Preis: Dachpappe, Nägel und 20
Lampenschirme. Anekdote am Rande: Der Bug des Achters erfüllt heute noch treue
Dienste als „Achter-Bar".
Von da an wurde nicht nur auf dem Wasser um Siege gekämpft, sondern auch bei
der Renovierung des Vereinsgeländes. Riemen und Skulls wurden gegen Schaufel
und Pickel getauscht. Das Ergebnis konnte sich bei der ersten Esslinger Regatta
1949 sowohl außen als auch innen sehen lassen. In den Jahren 1953/54 stand
der RVE allerdings buchstäblich auf dem Trockenen, denn wegen der Neckarbettverlegung
begann eine wasserlose Zeit. Ein vielseitiges Alternativprogramm hielt den
Verein lebendig, der 1956 mit 306 Mitgliedern Jubiläum feiern konnte. Der
ganze Stolz: Es lagen zwei Renn-Einer, zwei Zweier, acht Vierer und der Achter
in der Bootshalle.
Nach und nach zog
Professionalität in den Club ein. Zum ersten Mal wurde ein hauptamtlicher
Trainer verpflichtet, der den Grundstein für den Aufbau einer Trainingsmannschaft
und der gezielten Anfängerausbildung legte. Der Erfolg blieb nicht aus: Esslinger
Ruderer wurden zu Sichtungslehrgängen in das Rudermekka nach Ratzeburg
zu Karl Adam eingeladen. Doch leider trat Anfang der 1970er Jahre ein Abschwung
ein. Trainer und Ausbilder traten zurück, es waren keine Nachfolger in Sicht,
viele Leistungsruderer kehrten dem Verein den Rücken. Zudem traf den RVE der
Kanalausbau mit aller Härte, denn wieder mussten die Ruderer zwei Jahre lang
auf ihre Hausstrecke verzichten. Besonders ärgerlich: Wegen der senkrechten
Spundwände im ersten Teil des Kanals, konnten keine Regatten mehr stattfinden.
Hinzu kam noch der Straßenlärm der neu gebauten Bundesstraße 10. Aber die
RVE-Ruderer konnten viel ertragen, sie liebten ihren Sport.
Und sie entdeckten Alternativen: Das Wanderrudern gewann immer mehr an Bedeutung.
Im Laufe der Zeit gab es kaum ein ruderbares Gewässer in Europa, auf dem die
RVE-Flagge nicht geweht hat. Und es entstanden immer mehr Traditionen: Die
Trimmfahrt zum Beispiel, wo die sogenannten „Jungbullen" mit hohem körperlichem
Einsatz die Kilometer runterspulen, die alljährlichen Pfingstlager am Bodensee,
die Himmelfahrt-Wandertouren der „Alten Herren", das diensttägliche Rudern
der „HaSen" (Hausfrauen und Senioren), das Ausfahren des Neckarpokals
bis zum Kilometer Null an der Mündung. Auch die Meisterschaft um das "Schmotzige
Band" beim Abrudern darf nicht fehlen, wo acht Kilometer gegen die Stoppuhr
um den Sieg gefahren wird.
Und aktuell?
Da gibt es für Alt und Jung jede Menge Alternativen. In derzeit drei Kursen
mit je zwölf Teilnehmern können sowohl Anfänger als auch Fortgeschrittene
das Rudern erlernen. Selbstverständlich gehen auch die Routiniers - Damen,
Herren und gemischte Boote - regelmäßig aufs Wasser. Und nicht zu vergessen
die Rennruderer, die sowohl national als auch international zahlreiche Erfolge
einfahren.
Also es ist immer etwas los im RVE. Was auch der Oberbürgermeister der Stadt
Esslingen zu schätzen weiß. Jürgen Zieger taufte Mitte Juni einen neuen Renn-Doppelvierer
auf den Namen „Esslingen". Doch dabei beließ er es nicht. Zieger griff
selbst zu den Skulls und ging mit drei Aktiven aufs Wasser. „Es hat Spaß gemacht,
war aber gar nicht so leicht", erzählt er. Spaß gemacht hat den drei
Fußballtrainern ihre Aktion auf dem Wasser auch - und beim nächsten Mal, das
ist ziemlich sicher, werden sie dann auch den Esslinger Ruderverein problemlos
finden.
PETRA MUZENHARDT