Ein gutes Bootsgefühl im Hintern

Thomas Ortlieb vom RV Esslingen holt Bronze bei den U23-Meisterschaften -Sprung in den Nationalkader nur knapp verpasst

Von Karla Schairer

Esslingen - Thomas Ortlieb hat Muskelkater. „Und was für einen“, sagt er, während er durch das schummrig beleuchtete Bootshaus läuft. Der 22-jährige hat beim Eßlinger Zeitung Lauf teilgenommen, „allerdings war ich vor dem Lauf nur einmal joggen“, gibt er zu und grinst dabei breit. „Die Ausdauer hatte ich, aber meine Beine wollten irgendwann nicht mehr.“ Diese trugen den Ruderer immerhin auf Platz 19. „Das war ich dem Klinikum Esslingen schuldig“, sagt der junge Mann, der dort als Pflegehelfer in der Chirurgie arbeitet. Sein Arbeitgeber stellt ihn für Trainingslager und Wettbewerbe frei. Und das lohnt sich: Kürzlich holte sich Ortlieb bei den deutschen U 23-Meisterschaften im Leichtgewichts- Doppelzweier die Bronzemedaille.
Im Bootshaus des Rudervereins Esslingen stapeln sich die Boote. „Da ist ein Teil von unserem Achter“, sagt der Esslinger und deutet auf ein halbes Ruderboot. Insgesamt 18 Meter misst das Boot - zu groß, um es am Stück transportieren zu können. „Die zweite Hälfte liegt dort drüben, unter meinem Einer“, sagt Ortlieb, dessen angestammter Platz beim Zweier und Vierer im Bug ist. „Als Bugmann mache ich taktische Ansagen, navigiere und balanciere das Boot aus“, erklärt der blonde junge Mann. „Das ist eigentlich ein unbeliebter Job, aber darin bin ich gut, ich hab halt ein gutes Bootsgefühl im Hintern“, sagt er lachend.


Den Rettungsring hat Thomas Ortlieb zum Glück noch nie gebraucht. Im
Gebäude hinter ihm lagern die Boote des Rudervereins Esslingen.

Foto: Rudel

Aus war der Traum vom National-kader. Es ist dem 22-Jährigen anzu-sehen, dass es ihn noch wurmt. Dafür holte er mit seinem Teamkameraden Florian Roller von der Stuttgarter Ru-dergesellschaft Bronze im Leicht-gewichts-Doppelzweier. „Das war eine echte Überraschung und ein kleiner Trost.“ Dabei war das Leichtgewicht, bei der der Ruderer bis zu 70 Kilogramm wiegen darf, nicht die Klasse, in der Ortlieb eigentlich Rudern wollte. „Ich war 15 und habe mit meiner Mutter ihren Heimatort Walcz in Polen besucht, der auch der polnische Olympiastützpunkt ist “, erzählt er. „Als ich da das polnische Ruderteam beim Training beobachtet habe, dachte ich mir, so auszusehen wäre nicht schlecht.“ Ortlieb grinst breit und zuckt dann mit den Schultern. „Ein solcher Schwer-gewichts-Schrank bin ich dann leider nicht geworden, es hat nur fürs Leichtgewicht gereicht.“ Immerhin holte der Esslinger im Leichtgewichts-Doppelzweier bei den deutschen Meisterschaften 2010 und 2011 jeweils Silber und war 2010 Ersatzmann für die U 23-Weltmeisterschaft. In einer Woche tritt er bei den Landes-meisterschaften an.

Im Herbst entscheidet sich, ob Ortlieb weiterhin seine Freizeit beim RV Esslingen verbringt. „Wenn ich einen Studienplatz für Medizin bekomme, dann werde ich nicht mehr auf diesem Niveau Rudern können“, sagt er. Pro Woche 14 Trainingseinheiten à 90 Minuten sind vor großen Wettkämpfen üblich. „Das ist anstrengend, nebenher arbeiten geht da nicht“, weiß er aus Erfahrung. „Rudern ist ein Kampf gegen den inneren Schweinehund, mit viel Teamgeist“, beschreibt Ortlieb den Sport. Seinen besten Freund lernte er im Verein kennen. „Man geht zusammen an die Leistungsgrenze, nirgendwo entstehen so enge Freundschaften wie beim Rudern“, ist er sich sicher. „Man sitzt halt im selben Boot.“

Hartes Auswahlverfahren

Mit einer Hand stemmt er sein Boot „Lux“ aus der Halterung nach oben. „Die Einer wiegen nur 14 Kilo, der Rumpf ist aus Kohlefaser“, erklärt er. 8000 Euro kostet ein Einer. Jens Maschkiwitz, ein Vereinskollege und Gönner des Rudervereins, finanzierte das Boot. „Ich selbst könnte mir das nie leisten“, sagt Ortlieb und setzt das Boot vorsichtig auf der

Halterung ab. „Dieser Einer war wichtig, da ich ein ordentliches Boot gebraucht habe, um an den diesjährigen Ausscheidungen für den Nationalkader des Leicht-gewichts-Doppelvierers teilzunehmen.“ Doch nicht nur ein gutes Boot, sondern auch starke Nerven sind in diesem über mehrere Wettkämpfe dauernden Auswahlverfahren wichtig. Die Schnellsten kommen weiter und nach

einem Trainingslager am Bodensee konkurrieren am Ende zwei vorläufige Deutschlandvierer. „Die müssen dann in internationalen Wettbewerben ge-geneinander antreten“, erklärt Ortlieb

Vor den deutschen U 23-Meister-schaften im Juni stand es 2:2 zwischen Ortliebs Team und dem anderen Vierer. „Wir schafften es leider nur auf den dritten Platz, der andere Vierer holte Silber" sagt er.