Bericht: Horst Köster RRC
Pünktlich um 7:30 Uhr trafen Johannes Trelenberg, Bernhard Hildebrand und ich uns an der A 24, um nach einer kurzen Autobahnstrecke über die Landstraßen Richtung Unstrut zu fahren. Johannes fuhr recht flott, so dass wir pünktlich gegen 13:00 Uhr den Startort Rossleben erreichten. Auf der Suche nach dem dortigen Ruderklub wollten wir gerade jemanden fragen, als wir Manfred Strutz am Wegesrand entdeckten. Wir waren in unmittelbarer Nähe der"Klosterschule", hinter deren Gebäudekomplex sich der Ruderklub befinden sollte. Auf unserem Fußweg dorthin fanden wir in unwegsamem Gelände die weiteren Esslinger Ruderkameraden. Der Ruderklub war zwar gefunden worden, aber ein Anlegesteg oder ein Ansprechpartner waren nicht vorhanden. Mit hohen Fahr- und Schiebekünsten gelang es dann gemeinsam den Bootstransport wieder heraus- zufahren.
Auf einer kurzen Erkundungsfahrt durch den Ort entdeckten wir eine Straßenbrücke über die Unstrut mit einer recht guten Möglichkeit, die Boote an das Wasser heran zubringen und auch abzulegen. Die beiden Vierer Schwaben 2 und Helene Biedenbach wurden aufgeriggert und dann erst einmal der Vespertisch gedeckt.
Aus Esslingen waren dabei der Fahrtenleiter Fritz Baier, sein Stellvertreter Uli Beh, der Bootswart Fritz Schiller, der Mann mit der Kasse Manfred Strutz sowie Klaus Berkemer, Ulrich Glaser, Peter Luidhardt, Günther Schroth und zu meiner Überraschung der mir von FISA-Touren her bekannte Rudi Neumann von der Stuttgarter Rudergesellschaft.
Der Nachmittag war ganz ungewöhnlich nur für das Kulturprogramm geplant. Die Fahrt mit 2 Fahrzeugen führte uns durch das romantische Unstruttal zwischen Weinbergen zunächst an Nebra vorbei. Hier ist in der Nähe Ende der 90er Jahre von Unbekannten die Himmelsscheibe gefunden worden. Es handelte sich dabei um einen Schlüsselfund für die europäische Vorgeschichte, die Astronomie- und die frühe Religionsgeschichte. Es ist nach Ansicht der Fachleute die erste konkrete Himmelsdarstellung der Menschheitsgeschichte. Von den Findern sollte dieser wertvolle Fund "versilbert" werden. Nach einigen Jahren konnte diese 2002 mit Hilfe der Polizei in der Schweiz dem rechtmäßigen Eigentümer, dem Land Sachsen-Anhalt zugeführt werden. Für die Ausstellung dieses wertvollen Fundes wird hoch über dem Unstrutufer eine repräsentative Halle, die Arche Nebra, gebaut Wir konnten dieses interessante Stück leider nicht sehen, weil sie noch auf verschiedenen Ausstellungen weltweit unterwegs war.
Die Fahrt führte uns dann weiter nach Freyburg, der für das Kulturprogramm zuständige Bernhard Hildebrand hat uns hier wie auch an den folgenden Tagen die Sehenswürdigkeiten dieser landschaftlich und vor allem kulturgeschichtlich außerordentlich interessanten Region vorgestellt. Freyburg ist einmal das Zentrum für das Weinbaugebiet Saale-Unstrut aber auch die Heimat des allen bekannten Turnvater Jahn. Die Turnhalle aus seiner Ära mit einer Ehrenhalle und dem Denkmal zu seien Ehren konnten wir in Augenschein nehmen. Ein Besuch von Schloß Neuenburg rundete den Kulturnachmittag ab. Unser Nachtquartier bezogen wir im Hotel Unstruttal, einem umgebauten Plattenbau mit ehemaligem NVA-Hubschrauberpilot als Hotelier.
Am Donnerstag begannen wir dann mit dem eigentlichen Zweck der Reise, dem Rudern. Um 9,45 Uhr waren wir bei Km 49,1 mit den beiden Vierern auf dem Wasser, um die ersten Kilometer durch das vorstehend als sehr schön bezeichnete Tal zu rudern. Der Himmel war bedeckt, aber es war trocken. Das wussten wir nach den Erfahrungen der letzten beiden Jahre schon sehr zu schätzen.
Nach der Planung sollte die Gruppe der noch im Beruf stehenden Ruderer aus Esslingen zu uns stoßen. Aber dort gab es ein Bremsenproblem am Bus, sodass zunächst ein Ersatzfahrzeug aus Esslingen nachgebracht werden musste. Das bedeutete 5 Stunden Zeitverzögerung. Demzufolge traf diese Rudergruppe mit Bernhard Freisler, Bodo Golchert, Matthias Kötter, Peter Rotter, Wolfram Strehler, Ralf Stürmer, Ralf Stybalkowski und Harry Weinbrenner in Laucha zu uns, wo wir unsere Mittagspause einlegten. Die Restetappe des Tages wäre für die Nachzügler zu kurz gewesen, deshalb verlängerten wir die erste Tagesetappe bis zur Schleuse Zeddenbach bei Km 7,1. Dabei waren nun auch die beiden Boote Faifegrädler und Staffelsteiger. Eine gute Strömung und noch unverbrauchte Kräfte hatten uns 42 km vorwärts gebracht, und das am Vatertag mit 3 Schleusen und sehr vielen Paddlern, Schlauchbooten und Flößen auf dem Wasser; der Alkoholpegel und damit die Stimmung auf diesen Booten war entsprechend. Der eine oder andere fiel auch schon mal ins Wasser. Für Unterhaltung war also gesorgt, auch bei der Ankunft vor der Schleuse, wo an der historischen Mühle Zeddenbach ein Bulldogtreffen stattfand.
Unser Nachtquartier war das Haus der Luftsportjugend auf einer Anhöhe bei Laucha. Ein Objekt der Luftwaffe aus der NS-Zeit mit hervorragender Aussicht. Es wird jetzt von jugendlichen Segelfliegern genutzt. Wir hatten mit 8 Ruderkameraden 2 Vierbettzimmer als Durchgangzimmer. Ein Wunder, dass niemand geschnarcht hat! Vielleicht lag das auch an dem Abendessen, das wir in dem nahe gelegenen Dorf Gleina bei einem Wirt einnahmen, der ein richtiges Schlitzohr war.
Am Freitag war vor dem Betreten der Schleusenanlage, unserem Bootslagerplatz, eine außerplanmäßige Mühlenbesichtigung fällig. Der Müller zeigte uns außerordentlich stolz seine im Betrieb befindliche Wassermühle mit alten Miag-Mahlwerken, Transmissionsbetrieb und eigener Stromturbine. Hier wurde Roggenmehl produziert. Die letzten 7 Km auf der Saale mit gleich 2 Schleusen lagen vor uns; dabei muss ich hervorheben, dass wir ausgesprochen nette Schleusenwärter erlebt haben. Nach der Passage von Freyburg wechselten wir von der Unstrut auf die Saale und kamen an Naumburg vorbei. Die Saale wurde zunächst von einer herrlichen Landschaft mit Weinbergen begleitet. Die Mittagsrast machten wir nach 25 Km auf dem Gelände des Weißenfelser Ruder-Vereins von 1884. In der Saale waren hier mehrere bis zu einem halben Meter lange Nutrias aktiv, die sehr neugierig waren und sich in keiner Weise durch uns gestört fühlten. Sie waren dankbare Fotomotive. Das Wetter meinte es ausgesprochen gut mit uns, blauer Himmel und kräftiger Sonnenschein; am Abend waren die Spuren auf der Haut deutlich zu erkennen.
Vor der Mittagspause und auch gleich danach hatten wir wieder Schleusen zu passieren. Das besondere daran war, dass es sich um Schrägwandschleusen handelte. Wir konnten uns nicht festhalten, also ein neues Erlebnis. Die Nachmittagsetappe ging bis zum Kanu-Club Bad Dürrenberg bei Km 126,6, also Tagesleistung 42,5 km.
Die Übernachtung erfolgte im Gasthaus im Grünen in Bad Dürrenberg. Wir hatten wieder "Indische Zimmer" - soll heißen Toiletten jenseits des Ganges. Ein ausgiebiger Rundgang durch den Kurpark zeigte uns das 12 Meter hohe und mehrere Hundert Meter lange Gradierwerk mit der 223 m tiefen Solquelle, als Zeichen vergangener Bedeutung. Die Eigenschaft als Kurort hat Dürrenberg verloren, vom Kurbetrieb war deshalb auch keine Spur zu finden. Eine von uns gesuchte Eisdiele gab es auch nicht. Wir zogen uns also in das Gasthaus zurück und wurden dort auf der Terrasse mit einem herrlichen Sonnenuntergang belohnt.
Der Samstag führte uns zunächst zurück nach Naumburg, einer nach der Wende liebevoll restaurierten Stadt mit unzähligen historischen und baulichen Schmuckstücken. An erster Stelle steht der spätromanisch - frühgotische Dom aus dem 13. Jahrhundert. Zu erwähnen sind die spätromanische Krypta, der Ost Chor und der West Chor mit dem Westlettner. Im West Chor sind an exponierter Stelle die Stifterstandbilder aufgestellt. Hervorgehoben sind die Hauptstifter Markgraf Ekkehard II. mit Uta und Markgraf Herrmann mit Reglindis. Diese Statuen wurden erst 150-200 Jahre nach deren Tode hergestellt und bilden hinsichtlich ihrer individuellen Darstellung eine Besonderheit der mittelalterlichen Bildkunst. Dabei ist zu erwähnen, dass die Darstellung Uta's in jüngerer Vergangenheit als das Abbild der "Deutschen Frau" angesehen wurde.
Nach dem Dom führte Bernhard uns über den malerischen Marktplatz mit dem Wahrzeichen der Stadtpfarrkirche St. Wenzel, dem Nietzsche-Haus, dem Marientor und vielen prächtigen Bürgerhäusern.
Nach dem Kulturvormittag ging es dann wieder in die Boote. Eine Strecke von gut 30 km und 4 Schleusen lagen vor uns. Genau auf der Hälfte der Strecke lud uns die Merseburger Rudergesellschaft zu einer Rast ein. Unser Kulturreferent Bernhard hatte Geburtstag und gab eine Runde Bier und Erdbeertorte aus, die unter der starken Sonne ihre Form zu verlieren drohte. Bier und Torte schmeckten sehr gut und gaben Kraft für den Rest der Tagesetappe bis zur Halleschen Rvg. "Böllberg". Unser Quartier erreichten wir außerhalb im Yachthafen Salzmünde. In einem Boot hatte man ein Radio und konnte die Bundesligaspiele verfolgen. Der VfB Stuttgart war Deutscher Meister geworden. Unser Stuttgarter Gast Rudi Neumann ließ es sich nicht nehmen, eine Runde auf dieses Ereignis auszugeben.
Am Sonntag waren wir um 9.30 Uhr bei wiederum herrlichem Wetter auf dem Wasser. Rudi Neumann war wohl von der Stuttgarter Meisterschaft noch so angetan, dass er erst einmal ins Wasser ging und dabei seine Socken verlor. Mittagsrast war an der Gierfähre Brachwitz. Danach strebten wir dem Tagesziel Campingplatz Kloschwitz nach 29 km zu. Hier hieß es für einen Teil der Mannschaft Abschied nehmen. 2 Boote wurden abgeriggert, aufgeladen und um 15.30 Uhr erfolgte die Rückfahrt nach Esslingen.
Wir Verbliebenen fuhren zurück zum Yachthafen Salzmünde, duschten und ab ging es nach Merseburg. Im Mittelpunkt unserer Besichtigung stand der zu Beginn des 11. Jahrhunderts vom Kaiser Heinrich II. begründete Merseburger Dom, der in den folgenden Jahrhunderten mehrfach in seiner Substanz verändert worden ist. Eine eingehende Führung durch dieses beeindruckende Bauwerk mit einer sehr großen Barockorgel, dem Kreuzgang und das Schoßmuseum rundete den Besuch ab.
Zurück im Hotel konnten wir den Abend recht lange auf der Terrasse bei Bier oder Wein genießen und dabei heftig diskutieren.
Der Montag ließ uns rechtzeitig in die Boote steigen und nach 17 km war die Mittagsrast vor der Schleuse Aisleben angesagt. An der vorherigen Schleuse Rothenburg war eine unfreiwillige Ruhepause von etwa 1/2 Stunde erforderlich, weil der Schleusenwärter zunächst nicht erreichbar war. Nach weiteren 14 km kamen wir am Nachmittag beim Bernburger Ruderverein an und hatten damit die vorletzte Tagesetappe absolviert. Die nahe gelegene Personenfähre und das gegenüber liegende Gartenrestaurant verleitete uns, dort bei herrlichem Wetter Kaffee und Kuchen aus der Fahrtenkasse zu genießen.
Nach Bezug unserer Zimmer in der Hotel-Pension Berlin stand ein ausgiebiger Rundgang durch Bernburg auf dem Programm. Das Ziel war das bei der Ankunft vom Wasser aus schon erblickte prächtige Renaissanceschloß auf hohem Sandsteinfelsen am Saaleufer. Vorgänger dieses mächtigen Bauwerks war eine schon 961 unter Otto I erwähnte Burg, die im 16. Jahrhundert zum Schloß umgebaut wurde. Beeindruckend sind neben dem weiten Blick von der Burgmauer auch der sehr große Burghof und der Bergfried aus dem 12. Jahrhundert. Dieser wird Eulenspiegelturm genannt, weil Till Eulenspiegel hier einmal als Turmwächter gedient hat. Die Braunbären im Burggraben haben kaum Notiz von uns genommen.
Auf dem Rückweg fanden wir ein Restaurant, wo wir im Freien unser Abendmahl einnehmen konnten. Danach lud uns in unserem Hotel ein lauschiger Innenhofgarten zu einigen Abschiedsgetränken ein.
Am Dienstag waren neben den Schleusen Bernburg und Calbe noch 36,7 km bis zur Mündung der Saale in die Elbe bei Barby zu schaffen. Die Landschaft war in den letzten Tagen unterschiedlich geworden. Nach den lieblichen Weinbergen folgten flachere Bereiche mit Wäldern, Feldern und auch immer mehr Industrieregionen. Dabei waren Zeugen vergangener Wirtschaftskraft ebenso zu sehen wie viele restaurierte Stadtzentren als Anziehungspunkte für den Fremdenverkehr; nicht zu übersehen ist aber auch, dass noch viel Bedarf in jeglicher Beziehung besteht, um die Spuren des Kommunismus zu beseitigen. Ulrich Glaser und ich hatten an diesem letzten Tag Landdienst und haben an der Elbfähre auf die ankommenden Boote gewartet Vorher wurde eine Kaffeetafel durch Kucheneinkauf in Barby vorbereitet. Kaffee glaubten wir, direkt an der Fähre in einem Gasthaus zu bekommen. Aber dort war niemand anzutreffen, sodass ich auf Empfehlung des Fährmannes in ein Hotel im Ort fuhr. Dort wurde mir der Kaffee mit allen Zutaten und Geschirr ausgehändigt mit der Bemerkung:" Zahlen können Sie bei der Rückgabe des Geschirrs." Das nennt man Vertrauen und mag auch für die Liebenswürdigkeit stehen, mit der uns in den Tagen fast überall begegnet wurde.
Irgendwann erblickte Ulrich auf seinem Ausguck die beiden ankommenden Boote. Das Aussteigen, Herausnehmen der Boote, Abriggern und Aufladen waren dann nur noch Routine. Oder war die bereitstehende Kaffeetafel doch eine besondere Motivation? 211,6 km waren ohne nennenswerte Probleme dank sehr guter Kameradschaft und Ruderarbeit geschafft. Der Dank gilt allen an der Planung und Durchführung dieser Wanderfahrt Beteiligten, insbesondere der Fahrtenleitung Fritz Baier und Uli Beh. Die Ratzeburger bedankten sich dafür, dass sie wieder einmal Gäste des Rudervereins Esslingen sein durften. Danach fuhr je ein Fahrzeug in Richtung Süden und Norden, alle sind gesund und munter wieder zu Hause eingetroffen und freuen sich schon auf die nächste Tour 2008.