Mittwoch, 10.09.08: Prag - Roztoky = 18,7 km
Seltsames Gefühl beim Aufwachen. War morgens sonst immer bei den Ersten hinsichtlich Aktion-Verbreiten: Heute bin ich wohl der Letzte. Erinnere mich an Franz Kafka's "Verwandlung"; fühle mich wie ein Käfer - liegt wahrscheinlich daran, dass dessen Geist hier in Prag immer noch irgendwo sein Unwesen treibt. Alle sind bestens drauf. Bestens auch, dass sich einige erfahrene Wanderruderer spontan bereit erklären, den Landdienst zu übernehmen, da sie Prag vom Fluss aus auf früheren Fahrten bereits schon einmal genießen konnten. Finde ich richtig gut! Komme also in den Genuss, Prag auf der Moldau rudernd zu erleben - das ist was ganz Besonderes! Bestes Wetter, und wieder wird viel fotografiert. Das "goldene Prag" ist ein absolutes Highlight unserer Trimmfahrt. Es geht durch 2 Schleusen hindurch, die ein gewisses Habsburger-Ambiente aufweisen. Ebenfalls geht es unter der Karlsbrücke hindurch mit der bekannten Statue des Nepomuk, dem Brückenheiligen. Heute Abend werden wir das ja alles noch im Zuge unserer Stadtbesichtigung hautnah erleben. Trotzdem (und im Nachhinein bewertet): Vom Fluss aus schleicht sich - zumindest bei mir - ein wesentlich intensiveres Gefühl der Betrachtung ein als beim späteren Landgang.
So schön das mit Prag ist, aber kaum ist der Hradschin aus dem Blickfeld, kleben wir bei voller UV-Bestrahlung vor der nächsten Schleuse fest. Keine Ahnung, wie Wolfram das macht, er sitzt vor mir auf Schlag. Sein T-Shirt ist noch total trocken, aber hey Mann, was bin ich nassgeschwitzt!!! Außerdem: Obwohl ich als Chemiker so einiges an Gestank gewöhnt bin, herrschen hier, rein olfaktorisch betrachtet, höchst heftige atmosphärische Strömungen. (Das Klärwerk von Prag begleitet uns auf ca. 1 km).
Tschechische Schleusenwärter sind comme ci comme ça, je nach Barometerdruck: Die einen sind besonders fix, die anderen sind besonders langsam. - Ich unterstelle dem Herrn an der Schleuse mal keine Absicht, dass er die Ruderer aus deutschen Landen ausbremsen möchte, weil er vielleicht mit dem falschen Fuß aufgestanden ist, aber heute nervt es mich brutal (Kafka lässt grüßen, s.o.)
Wir fahren in einen Kanal ein. Kurz darauf die Schleuse von Klecany. Hier tummelt sich gerade eine 3-köpfige Mannschaft, die damit beschäftigt ist, die Spundwände zu säubern. Heißt für uns: Warten, bis die Jungs gewillt sind, Pause machen. Es dauert nicht lange, bis der Wille erkennbar ist. Wolfram sitzt mit immer noch trockenem Shirt vor mir, während bei mir der Saft bereits aus den Schuhen rausrinnt.
Jetzt reicht es aber wirklich: Die nächste Schleuse! Sieht so aus, als ob Absicht vorliegt. Die Herren über die Schleusen haben offensichtlich in den nächsten 2 Wochen sowieso keine Lust mehr, rational arbeitende und denkende Menschen wie uns abzufertigen. Der Name der Schleuse prägt sich mir ein: " Dolánky". In der Übersetzung bedeutet dies wahrscheinlich "Sanftmut" oder so was ähnliches. Der Schleusenwärter kann jedenfalls froh sein, dass ich heute zu keiner Gefühlseruption mehr fähig bin und dass ich zufällig keine Handgranate bei mir habe. Umtragen der Boote ist hier nur möglich, wenn man sich dafür 3 Tage Zeit nehmen will. Gegen 13 Uhr dürfen wir aber, nach etlichem verhandlungstechnischen Geschick, doch noch schleusen. Ankunft in Dolany beim Fähranleger gegen 13.30 Uhr. Boote werden auf die Wiese gelegt und ab "nach Hause", d.h. zum Ruderverein Blesk.
[Bin in Gedanken immer noch in Prag und seit 3 Monaten kein Stückchen weiter mit meinem Bericht. Soeben kickt der VfB und gewinnt gegen "Tante Hertha" mit 2:0. Ausgerechnet jetzt muss unser Fahrtenleiter anrufen und mich zur Abgabe meines Berichts ermutigen. Überlege nun also krampfhaft, was noch so alles passiert ist auf dieser Wanderfahrt...]
Frisch geduscht legen wir los. Marschieren von der Prager Ruderinsel frohen Mutes zur Straßenbahn und fahren mit derselbigen über viele, viele Stationen inklusive Notbremsung und Umsteigen bis hoch zum Hradschin. Dort legt sich Bernhard voll ins Zeug. Erklärt uns alles, was es hier so zu bestaunen gibt; macht er wirklich gut! Frage mich nur, warum die Tschechen ein Denkmal für Benes - das ist der mit den Dekreten - ausgerechnet vor dem Außenministerium aufgestellt haben? - Wäre in Deutschland unmöglich sag ich einfach so.
Besichtigen den Hradschin, St. Veits-Dom, etc. bevor wir hinunter zur Karlsbrücke kommen. Alles ist voller Touristen, selbst um diese späte Tageszeit. Kann mich noch an die Zeiten des real existierenden Sozialismus erinnern, wo ein Bier (0,5 l) im Hotel Ambassador umgerechnet noch 45 Pfennige gekostet hat. Lade in einer Kneipe direkt am Rathausplatz einige Ruderfreunde zu einem Bierchen ein. Kostet mich "läppische" 6 € pro 0,4l ! "O tempora o mores!."
Für alle, die glauben sie hätten was verpasst: Die "goldene
Gasse" in Prag
Bei aller Freude und Wertschätzung was Kultur betrifft, aber so langsam wird's ungemütlich: Fast allen hängt der Magen durch! Nachdem die letzten Irrläufer eingesammelt sind - was gar nicht so einfach ist angesichts dieser Touristenhorden - stechen wir los, Ziel ist das U fleků, eine Art Hofbräuhaus. Wir werden mit Deftigem abgespeist. Die Höflichkeit ist in etwa adäquat zur Höflichkeit des Personals der letzten Schleuse vom Mittag. Vertrauen uns anschließend wieder der Prager "S-Bahn" an. Kommen um ca. 22 Uhr im Ruderverein an. Werfe mich sofort in die Falle. Nicht dass ich Kafka fürchte, aber diese Nacht möchte ich ohne den Albtraum einer "Verwandlung" mal wieder ohne Bibbern ruhig schlafen.
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