Schluss mit Rudern durch das märchenhafte Weserbergland, ab jetzt wird’s flach. Am frühen Morgen, als wir die Boote in diesem kleinen Kanal, der zum Pumpwerk führt, zu Wasser lassen, herrscht Nebel vor. Kaum dass wir aber den ersten Kilometer gerudert sind, herrscht Sonnenschein – und dies für den Rest des Tages und auch der ganzen Woche. Nachdem wir das „Ursprungstal“ der Weser verlassen haben und in den Kanal eingebogen sind, begleiten uns etliche Frachtschiffe, die aus dem Mittellandkanal hier in Richtung Nordsee in unsere Fahrrinne eingeschwenkt haben. Ca. 6 km bis zur nächsten Schleuse fahren wir beständig neben einem Frachter her. Dieser muss seinen Diesel so sehr quälen, dass wir ihm endlich - und fast schon aus Erbarmen den Vortritt lassen. Wir müssen ohnehin abbiegen, aus der Fahrrinne heraus, hin zur Sportschleuse Petershagen. Hier wartet eine Treidelgasse auf uns. Da dümpeln wir erst mal halbmütig dahin, bis unser Fahrtenleiter alles gecheckt hat. Dann geht´s aber relativ flott: Jedes Boot kommt separat dran. Beim Öffnen des Wehrs rauscht das Wasser ordentlich. Offensichtlich gibt es einige Profis unter uns, die so etwas schon des Öfteren gemacht haben und die die Boote, an langer Leine führend, im Hochtrabtempo wohlbehalten ins Unterwasser bringen.
Seit Minden ist die Strömung nur noch marginal. Dies bedeutet, dass Ruderarbeit gefragt ist und dass auch während einer viertelstündigen Pause kein Ruderkilometer ohne Einsatz „einfach so“ aufs Konto gutgeschrieben wird. Vor allem werden wir bei unseren stündlichen Pausen durch fortwährenden Gegen- und Seitenwind ausgebremst. Es ist für den Steuermann nachgeradezu ein Kunststück, sich in der um Schlüsselburg befindlichen Schleife, allen Winden zum Trotz, die Ideallinie zu finden; da kann man sich relativ rasch unbeliebt machen…
Die kleine Bootsgasse bei Hoppenberg hat es aber in sich. Plötzlich taucht in der ohnehin schon schmalen und etwas zugewachsenen Fahrrinne steuer- und backbordseitig ein Betonsockel nur wenige Zentimeter unterhalb des Wasserspiegels auf, und daher auch erst im letzten Augenblick erkennbar!
Die Boote müssen an dieser Stelle aus dem Wasser herausgenommen und mittels der Umsetzwägen in Richtung Unterwasser verfrachtet werden. Das klappt auch ganz gut, Von der Einsetzstelle sind es dann nur noch 2 Kilometer bis zur Mittagspause in Mühlenteich. Von hier ab gibt es bei mir einen Filmriss. Ich weiß nur noch, dass ich mich in einem Vierer mit Stybi als Bootschef befand. Es lief wie geschmiert und wir fuhren in Richtung Landesbergen, den anderen Vierer weit hinter uns lassend. Dann kam diese ominöse Treidelgasse. Aus welchen Gründen auch immer, erbot ich mich, zusammen mit Ralf unseren Vierer da runterzutreideln. Da ich das jetzt schreibe, habe ich mir die Strecke in google earth angesehen – diese scheiß Treidelgasse habe ich ausgemessen, sie ist tatsächlich fast 110 m lang. Normalerweise kein Problem, wenn man nicht den Absprung auf den Nebenpfad verpasst und im von Algen verschmierten Auslauf versucht, irgendwie „die Migge“ reinzuhauen. Keine Chance!- gebadet ohne Ende, Ellenbogen aufgeschürft, aber Ralf hatte alles im Griff. Das Boot hat es überstanden, weiter nichts passiert – außer dass Peter – seine Kamera immer parat -im Dreier im Unterwasser liegend, diesen filmreifen Stunt für die Nachwelt tatsächlich auf ewig festgehalten hat…(So was ist übrigens mindestens genauso schlimm, wie durch Entenkacke waten…) By the way: ich habe einen Kollegen, der sich mit der Vision des Skifahrens auf Algenteppichen beschäftigt, genannt „BioGlizz“. Seit der Aktion in der verfluchten Treidelgasse bin ich skeptisch – Algen sind flutschiger als Schnee und außerdem unberechenbar!
Da ich mit dem Fahrtenleiter in einem Boot sitze, werde ich von dessen Ehrgeiz nicht verschont. Er hat es sich in den Kopf gesetzt, als Erster in Nienburg anzukommen. Als wir in Nienburg anlegen, ist gerade Hochbetrieb. Alles was in Nienburg zwei Löffel halten kann, will ausgerechnet jetzt, da wir anlegen wollen, aufs Wasser. Interessanterweise sind da auch 2 schöne Sechser dabei. Irgendwie schaffen wir es trotzdem, uns nicht allzu sehr in die Quere zu kommen.
Einmal mehr ist Wolfram verantwortlich fürs Menü verantwortlich. Es gibt Geschnetzeltes mit Reis und Gemüse, das Ganze sehr asiatisch angehaucht. So was Asiatisches scheint ungemein anregend zu sein. Jedenfalls sind wir erst gegen 2 Uhr so langsam in die Falle gekrochen.
Wunderschöner Morgen. Gleich nach dem Frühstück und nach Rum-und-num-Schieben unseres Bootshängers geht es sofort aufs Wasser. Von der Stadt Nienburg und ihren Sehenswürdigkeiten haben wir leider, aufgrund anderweitiger Ablenkungen (s.o.) nicht allzu viel mitbekommen. Selbst kenne ich von Nienburg bisher nur den Bahnhof (IC-Stopp); schade eigentlich, da vom Wasser aus betrachtet Nienburg sehr ansprechend aussieht.
Zur Abwechslung sitze ich heute mal wieder mit Mathias auf Schlag im Vierer. Das ist stets sehr entspannend, da er zum einen mordmäßig was weg zieht und zum anderen alles Mögliche zu erzählen weiß. Mindestens 3 Kilometer rudert er mit aufgestellten Blättern, weil das angeblich ergotechnisch oder sonstwie technisch wahnsinnig was bringt. Nach einigen Flusskehren geht es auf einmal backbord weiter in den Schifffahrtskanal, 2 km total geradeaus und total langweilig bis zur nächsten Schleuse. Noch langweiliger wird es uns allerdings während der Wartezeit von über 1 Stunde, bis wir endlich in die Schleuse Sebbenhausen, im Gespann von 2 Frachtern und einem Ausflugsboot, einfahren dürfen.
Die nächsten Kilometer ab der Schleuse mäandriert die Weser dahin bis zum Ort unserer Mittagsrast, dem beschaulichen Örtchen Hoya. Dort war vom Landdienst bereits alles aufs Beste vorbereitet. Manche gönnten sich nach dem Essen dann sogar noch ein kleines Schläfchen…
Die Weiterfahrt verlief, bis zur Schleuse Dörveden, einigermaßen unspektakulär. Bis dahin alles gut, d.h. einige kleinere Kräftespielchen zwischen den Booten, wie dies halt auf Trimmfahrten so üblich ist. Aber dann wurden wir ausgebremst. Vor der Schleuse lag ein Schwimmbagger, der da recht aktiv hin und her pendelte und Aushub auf einen Lastkahn verteilte. Vom Schleusenpersonal wurde angedeutet, dass es mindestens noch ca. 1,5 Stunden dauern könnte, bis – wenn überhaupt – eine Schleusung für uns pobelige Ruderjockel erfolgen würde. Der Besatzung eines Vierers ging dieser Affront dann doch etwas zu weit. Sie entschloss sich dazu, das Boot umzutragen, Das war angesichts der Geländeverhältnisse kein leichtes Unterfangen; aber es hat geklappt. Überraschenderweise ging für die beiden anderen im Oberwasser liegenden Boote die Ampel nach wenigen Minuten auf Grün. Geduld schien sich in diesem Fall also auszuzahlen: Ein deutliches Plus an Bequemlichkeit, zumal das Schleusenpersonal sich als dann durchaus freundlich und häbig herausstellte – ähnlich wie seinerzeit auf der Moldau.
Fortan herrschte ein relativ strenger Wind aus Nordost. Dieser blies, da die Weser sich schlaufenförmig durch die Tiefebene zieht, mal direkt von vorne, mal von Steuerbord. Bei Verden mündete, kaum merkbar, die Aller. Von hier aus war es nur noch eine gute halbe Stunde bis zum Ziel vor dem Wehr in Langwedel.
Das Anlegen in Langwedel beim Yachtclub schien nicht einfach zu sein; mit Seitenwind war zu rechnen (s.o.). Und so benötigte das ein oder andere Boot, aufgrund von Zaghaftigkeit beim ersten Anlauf, eben eine Zweiten. Obwohl das Gelände offenbar von einer Kaninchenplage heimgesucht und daher gründlich umgegraben wurde, schafften wir es doch, unsere Boote ohne Außenbandabriss auf der durchlöcherten, halbgrünen Wiese abzulegen.
Langwedel liegt streckenmäßig knapp 40 km vor Bremen. Dies bedeutete für uns Trimmfahrer im Prinzip, dass unser Endziel plötzlich sehr deutlich Gestalt annahm. Umso mehr, als wir für diese Nacht unser Quartier bereits beim B.R.C. Hansa in Bremen gebucht hatten, dem Heimatverein von Heinz Kleemann. Nach Zusammensuchen sämtlicher Flaggen, Leinen, Enterhaken ging es also über die Autobahn auf nach Bremen. Dort angekommen, hatte es das Küchenpersonal ausnahmsweise mal gut. Denn für den Abend waren wir von Heinz eingeladen, in der vereinseigenen Gaststätte Knipp mit Bratkartoffeln und roter Beete zu essen, eine Bremer Spezialität, angeblich ähnlich wie Labskaus, doch laut Heinz deutlich besser schmeckend. Und das stimmt aus Sicht eines Süddeutschen auch definitiv – ohne den Hamburgern zu nahe treten zu wollen (siehe AH-Fahrt).
Es gibt Leute im Ruderverein, die sind nicht ganz gescheit. Die träumen zum Beispiel davon, mindestens ein Mal um den Äquator zu rudern, das sind 40.075 km. Die heutige Etappe geht von Langwedel bis Bremen, das ist so knapp ein Tausendstel hiervon, also 40 km – weit genug. Es gibt sogar Leute, die sind nicht nur nicht ganz gescheit, sondern womöglich verrückt. Mathias hat sich erboten den Landdienst komplett zu übernehmen. Er fuhr also abwechselnd sowohl mit dem Sprinter als auch mit seinem Fahrrad zwischen Bremen und Langwedel hin und her.
Als wir zurück in Langwedel waren, mussten die Boote per Umsetzwagen ins Unterwasser gebracht werden. Allerdings blockierte anfänglich die Bremse des Wagens beim Einfahren ins Wasser, so dass mehrere Anläufe erforderlich wurden, bis die Aktion über die Bühne war.
Bei Kilometer 333 wurde haltgemacht. Frank packte zur Feier der Schnapszahl einen bis dahin tief im Seesack vergrabenen Flachmann aus. Wie heißt es doch in der Feuerzangenbowle: „Aber jeder nor einen wänzigen Schlock!“ Nach einem scharfen Linksknick des Flusses bei Achim waren wir wieder auf der Schifffahrtsstraße. An dieser Stelle liegen auch die Badener Berge - bis dahin dachte ich eigentlich, dass die im Nordschwarzwald liegen. Es ist eine etwa 50 m hohe Endmoräne aus der Eiszeit, bebaut mit Häusern von Besserbetuchten, also quasi der „Killesberg von Bremen“.
Kurz vor Bremen sorgten am Freitagvormittag unzählige Sportbootfahrer für hohe Wellen. Um nicht unnötig viel Wasser ins Boot zu bekommen, mussten wir des öfteren abrupt stoppen und uns längs legen. Mehr oder weniger nassgespritzt erreichten wir die tidenabhängige kleine Schleuse am Weserwehr. Kurz vor dem Wochenende herrschte hier ein relativ hoher Andrang an Sportbooten, so dass wir einige Zeit warten mussten, bis wir einfahren durften.
Hinter der Schleuse, auf Höhe des Weserstadions, hatte es der Staffelsteiger auf den letzten Metern auf einmal brutal eilig. Aber so leicht wollten wir es ihnen nicht machen, den Sieg zu erringen. Mehrere beherzte Schläge brachten uns wieder auf gleiche Höhe. Und eigentlich wären wir mühelos vorbeigezogen, hätten sich da nicht mehrere Angelschnüre bei uns verfangen. Großes Geschrei am Ufer; wir hatten von mindestens 3 Anglern sämtliche Gerätschaften abgeräumt. Nach 360 km hatten wir unser Ziel dann erreicht. Wenn man glaubt, dass nun erst einmal gefeiert worden wäre, der irrt. Sofort wurden die Boote abgeriggert und aufgeladen, viele andere Siebensachen verstaut und nebenbei noch der Gemüseeintopf vorbereitet. Erst danach gab es das verdiente Bierchen.
Nachdem wir uns geduscht und schön gemacht hatten, führte uns Heinz in die Altstadt von Bremen. Vom berühmten Glockenspiel um 18 Uhr hörten wir leider nur noch den Schlussakkord. Anschließend ging es Richtung Marktplatz mit dem Bremer Wahrzeichen, dem Roland, dem Rathaus und der Baumwollbörse. An jeder Ecke stand eine Bronzeskultur, ob dies nun ein Schwein war oder eine Weltkugel. Am Dom vorbei ging es ins urige Schnoor, mit seinen kleinen, verwinkelten Gässchen. Hier wurde uns ein Eis spendiert.
Zurück bei der Hansa ließen wir uns den Eintopf schmecken und genossen den schönen Abend auf der grünen Wiese.Am nächsten Morgen stopfte Mathias in aller Herrgottsfrühe die Reste des Eintopfs in sich hinein und machte sich mit seinem vollbepackten Rad auf den Weg nach Osnabrück. Mit guten Eindrücken von dieser Trimmfahrt machten wir anderen uns ebenfalls auf Richtung Heimat. Mittagsrast machten wir in der angeblich besten Raststätte Deutschlands im hessischen Kirchheim. Dies war vermutlich im Test vor 30 Jahren, und seither wurde dort wohl auch nichts mehr investiert. Auch so kamen wir gegen 17 Uhr wieder wohlbehalten in Esslingen an.
Ralf Stybalkowski, Heinz Kleemann, Fritz Baier, Hans-Peter Rotter, Hans-Reinhart Strehler, Wolfram Strehler, Bernhard Freisler, Ralf Stürner, Achim Lempart, Hans-Jürgen Eberhardt, Albrecht Hannig, Frank Maschkiwitz, Mathias Kötter, Frank Gähr.
Frank Gähr